Der gute Rath

Humoreske von Paul Bliß
in: „Agramer Zeitung” vom 04.09.1897,
in: „Düna-Zeitung” vom 29.08.1897,
in: „Znaimer Tagblatt” vom 25.08.1901,
in: „Budweiser Kreisblatt” vom 27. - 31.08.1898,
in: „Linzer Tages-Post” vom 17.12.1921 (unter dem Titel: „Auf der Hochzeitsreise”),
in: „Preßburger Presse” vom 12.09.1921 (unter dem Titel: „Auf der Hochzeitsreise”)


Als das Hochzeitsdiner beendet war und die Gäste in den ntraulichen Räumen plaudernd und scherzend herumsaßen, trat Frau Charlotte zu der jungen Frau heran, legte ihren Arm in den ihrer küngeren Freundin und entführte sie dem jungen Ehegatten.

„Eas thust Du denn so geheimnißvoll?” fragte scherzend die glückstrahlende kleine Person, die seit fünf Stunden erst mit „junge Frau” angeredet wurde. „Uebrigens habe ich gar nicht mehr viel Zeit, denn Du weißt ja, wir wollen noch den Nachtzug über München benützen.”

Frau Charlotte nickte zustimmend. „Weiß ich alles, liebe Gusti, und eben vor Deiner Abreise will ich Dir noch einige nothwendige Verhaltungs­maßregeln mit auf den Weg geben.”

Sie befanden sich in einem kleinen, ganz versteckt gelegenen Cabinet, das durch große Vorhänge von den Nebenräumen getrennt und nur durch eine mattrosa Ampel erhellt war.

Gusti ließ sich in einen der Fauteuils fallen und rief mit übermüthigem Lachen; „Also, dann schieße los!”

„St, ruhig doch!” beschwichtigte sie die andere, „was ich Dir zu sagen habe, ist nur für Dich allein bestimmt.”

Neugierig rückte die junge Frau heran und legte das schmale Händchen an die rosige, kleine Ohrmuschel.

„Wenn Du in der Ehe glücklich leben willst, so rathe ich Dir, Deinen Mann gleich vom ersten Tage an Dir zu erziehen,” sagte Frau Charlotte.

Gusti lachte von neuem. „Du bist drollig, Charlotte. Warum sollten wir denn nicht glücklich leben? Mein Mann liebt mich doch!”

Die Freundin nickte verständnißvoll: „Und eben weil er Dich liebt, ist er um so leichter zu erziehen. Den guten Augenblick auszunützen, das ist echte Lebenskunst. Noch liebt er Dich, darum gewöhne ihn jetzt daran, daß er Dir auch einen Willen und Rechte zuerkennt; ob dazu aber später noch Zeit und Gelegenheit sein wird, das kann man nie wissen, denn alle Männer sind leichte Falter.”

Die junge Frau, die vor ihrer älteren und verheirateten Freundin doch einigen Respect hatte, sah ziemlich zaghaft drein, bis sie sich endlich zu der Frage entschloß: „Ja, wie soll ich denn das aber anfangen?”

Frau Charlotte dachte ein wenig nach, dann fragte sie: „Hat Dein Mann irgend eine Angewohnheit, von der er glaubt, nicht lassen zu können?”

Nach einigem Besinnen entgegnete Gusti: „Ich glaube, seine einzige Leidenschaft ist das Rauchen.”

„Gut, so gewöhne ihm das ab.”

„Das soll ,ich ihm abgewöhnen?” Entsetzt starrte sie die Freundin an.

„Wenn Du Dir ein Wort in der Ehe sichern willst, dann thu, was ich Dir gesagt habe. Gerade die Hochzeitsreise gibt Dir die beste Gelegenheit. Uebrigens habe ich meinem Mann das Rauchen auch abgewöhnt. Ich habe ihm gesagt, daß mein Hals darunter leide. Und das hat geholfen, er rührt keine Cigarre mehr an. Also nur ein wenig Energie, aber gleich von Anfang an, dann wird sich die Sache schon machen.”

Frau Gusti nickte zwar dazu, innerlich aber wurde sie von Angst und Zweifeln geplagt, weil sie sich noch gar nicht in dieser Situation zurecht finden konnte.

Eine Stunde später fuhr das junge Ehepaar zur Bahn.

„Ach, Rudolf, laß uns ein Nichtrauchercoupé nehmen,” bat die junge Frau, eingedenk des guten Rathes der Freundin.

„Selbstverständlich, Schatz!” lächelte er sie verständnißinnig an, und die Fahrt wurde in einem Nichtrauchercoupé zurückgelegt.

Am andern Morgen kamen sie in München an. Als sie im Hotel den Café einnahmen, wollte Rudolf sich eine Cigarette anbrennen.

„Ach, bitte, Herz, laß das Rauchen,” bat sie, „ich habe eine leichte Halsentzündung.”

„Aber natürlich, mein Liebling!” rief er undd warf die Cigarette in den Kamin.

Mit dankbarem Blick sah sie ihn an. O, es war kein Zweifel, er liebte sie mehr als seine Angewohnheiten!

Dann machte er einen Ausgang, um ein paar Einkäufe zu machen, während sie inzwischen ein wenig ruhen sollte.

Als er wiederkam, und sie mit einem Kusse weckte, sah sie ihn mit bittendem Blicke an. „Du hast ja doch geraucht, Rudolf!”

„Aber ich war ja draußen, mein Herz!” meinte er verwundert.

„Ich mag aber diesen häßlichen Geschmack nicht; wenn Du mich küssen willst, darfst Du vorher nicht rauchen, nein, Rudolf!” bat sie leise.

Lächelnd versprach er auch dies, küßte sie aber trotzdem wieder.

Nach Tisch bekam er einen Eilbrief. Erstaunt las er ihn durch, lächelte dann und steckte ihn ein. „Vom Geschäft,” sagte er nur, als sie ihn fragend ansah. „Eine gute Nachricht,” meint er dann so obenhin.

Abends führte er sein Frauchen durch München. Als sie im Café Leopold saßen, rauchte er sich eine lange Upmann an.

Die junge Frau begann zu husten und sah ihren Mann mit bittendem Blicke an, sagen konnte sie nichts.

„Hier kann Dich mein Rauch doch nicht stören, Schatz,” lächelte er überlegen, „hier raucht ja fast jeder Gast.” Dabei blies er mächtige blaue Rauchwolken in die Luft.

Sie konnte nichts darauf erwidern. Aber ihre Laune war jetzt verdorben. Sie dachte an den guten Rath der erfahrenen Freundin, und so begann sie zu schmollen.

Als sie sich bald darauf zur Ruhe begaben, küßte er sie nicht und entschuldigte sich damit, daß er ja ziemlich stark geraucht habe und ihr den Geschmack nicht wieder verderben wolle. Da weinte sie heimlich.

Am andern Tage fuhren sie weiter. Jetzt wählte er en Rauchcoupé. mit der allerdings zutreffenden Entschuldigung, daß kein anderer Platz mehr frei wäre.

„Aber warum hast Du uns denn nicht wieder eins reserviren lassen?” schmollte sie.

Und lachend entgegnete er: „Ich habe es vergessen, mein Kind.”

Sie schwieg. Innerlich aber durchrüttelte sie ein Sturm der Empörung. Er nannte sie so obenhin nur „mein Kind” und hatte vergessen, was sie wünschte, — — oh, warte nur, mein Herr Gemahl, jetzt sollst Du erst das „Kind” kennen lernen! Und heimlich überdachte sie nun ihren Feldzugsplan.

Die Reise über den Brenner verging ihnen ziemlich eintönig. Er rauchte fast unausgesetzt und als sie consequent durch das Fenster auf das schnellwechselnde Landschaftsbild sah, entschloß er sich schließlich, mit zwei anderen Damen, die ihm gegenüber saßen, eine Unterhaltung anzuknüpfen.

Sie kochte vor Wuth, aber dennoch schwieg sie, um sich keine Blöße zu geben.

Nachts endlich kamen sie in Verona an.

Und wieder bekam sie keinen Gute-Nacht-Kuß. Diesmal aber entschuldigte er sich gar nicht erst, sondern schlief nach einigen gleichgültigen Worten ein. Sie aber preßte das heiße Gesicht ins Kissen, um ihr Schluchzen nicht laut werden zu lassen.

Der nächste Tag war ein echter italienischer Frühlingstag. Blauer Himmel, warmer Wind, ein Meer von bunten Blumen und lachende fröhliche Menschen, wohin man nur sehen mochte.

Vom Fenster ihres Hotels sahen sie auf das lebhafte Treiben der Piazza d'Erbe, ein Bild so bunten echt italienischen Lebens, wie man es zum zweiten Male nur in Neapel so interessant wiederfindet.

Gleich nach dem Frühstück zündete er sich eine Cigarre an und schaute zum Fenster hinaus.

„Wollen wir gleich unsere Rundfahrt beginnen, mein Schatz?”

„Ich gehe überhaupt nicht fort,” sagte sie kurz, „ich fühle mich nicht wohl.”

„So hole ich einen Arzt,” rief er besorgt.

„Nein, ich will keinen Arzt, ich will nur Ruhe haben, — am liebsten möchte ich umkehren und nach Hause fahren,” entgegnete sie mit einer Stimme, die dem Weinen nahe war.

Ganz ruhig sagte er darauf: „Du brauchst nur zu bestimmen; in einer Stunde können wir schon auf der Rückfahrt sein.”

Darauf antwortete sie aber gar nichts, denn sie dachte mit Entsetzen daran, daß er es wahr machen könnte und daß sie so um die langersehnte Italien-Reise kommen würde.

„Also willst Du Verona nicht kennen lernen?” fragte er sie noch einmal.

„Wenigstens noch nicht,” antwortete sie gereizt, „wenn Du die Zeit nicht mehr erwarten kannst, dann geh doch allein, an Amüsement wird es Dir doch nicht fehlen.”

„Gewiß nicht!” rief er gleichmüthig und ging wirklich fort.

Starr vor Schreck sah sie ihm nach. Das hatte sie denn doch nicht erwartet. O, wie recht hatte Charlotte doch gehabt! „Alle Männer sind leichte Falter!” Am dritten Tage ihrer Ehe wagte er es, sie so zu behandeln! — Und weinend warf sie sich auf das Ruhebett und ärgerte sich nun plötzlich über alles, — über das Lärmen der Marktleute, über das Gelaufe in den Corridoren, über das immerwährende Anschlagen der elektrischen Glocke, über ihren Mann, über ihren eigenen Eigensinn und nicht am wenigsten über den guten Rath ihrer älteren Freundin.

Gegen Mittag kam er zurück. Als er sie so in Thränen liegend vorfand, fragte er voll Besorgniß: „Was fehlt Dir denn nur, liebes Herz?”

Ganz aufgellöst in Schluchzen rief sie: „Warum hast Du mich denn geheiratet, wenn Du mich nicht liebst?”

„Wer sagt Dir denn, daß ich Dich nicht liebe?”

„Würdest Du sonst jeden meiner Wünsche so mißachten?”

Darauf antwortete er nichts, sondern griff nur in die Brusttasche und reichte ihr jenen Brief hin, den er in München erhalten hatte.

Und sie las: „Lieber Freund! Ich bin soeben, ohne es zu wollen, Zeuge gewesen, wie meine getreue Charlotte Deiner Gusti den Rath gab, Dich auf der Hochzeitsreise zu ,erziehen'. Als erstes Mittel wurde ihr empfohlen, Dir das Rauchen abzugewöhnen. Also sei auf Deiner Hut. Auch ich bin einst so ,erzogen' worden. Ich glaubte damals an die Halsentzündung meiner Charlotte, nun ich aber klar sehe, bin ich von morgen ab wieder ein enragierter Raucher. Also sei auch Du ein Mann . . . .”

Frau Gusti las nicht weiter. Beschämt sah sie ihren Mann an, als dieser aber nur laut loslachte, da lief sie in seine Arme, umfaßte ihn und küßte ihn — trotzdem er nach Tabak roch.

Von dem Augenblick an ging die Hochzeitsreise ohne weitere Störung von statten.

*           *           *

Als das junge Ehepaar im Hochsommer ein Seebad aufsuchte, traf man auch Frau Charlotte mit Gatten, der erhobenen Hauptes seine Cigarre rauchte.

Gusti wollte mit der Freundin über die Folgen ihres guten Raths sprechen, diese aber wußte die Unterhaltung so geschickt zu drehen, daß man immer nur andere Themen berührte, bis Frau Gusti dies merkte und lächelnd darauf einging.

Am Strande aber standen die beiden Männer und lachten und — rauchten, was das Zeug hielt.

— — —